Ereignisse die Menschen unerwartet, schnell und heftig oder wiederkehrend, langsam und eindringend erfahren und sich, im Moment des Geschehens, lebensbedrohend anfühlen, lösen unbewusste Schutzreaktionen aus. Diese werden weitgehend vom autonomen Nervensystem gesteuert und äussern sich in den bekannten Modalitäten kämpfen, fliehen oder erstarren (Fight, Flight, Freeze).
Die Reaktionen des autonomen Nervensystems die in der Erstarrung ausgelöst werden, die hohe zu-rückgehaltene (gehemmte) Energie und die daraus folgende Angst lösen sich beim Menschen, im Gegensatz zu den Tieren, nicht automatisch auf. Die Folgen zeigen sich oft nicht direkt, können lange unentdeckt bleiben und unerwartet ohne Bezug zum "damals" auftauchen. Die verlorene Lebendigkeit, Symptome und Syndrome usw. sind Folgen davon.
In der Alltagssprache werden z.B. Naturkoststrophen, Krieg, Gewaltakte, Misshandlungen, Unfälle, Tod usw. traumatisch genannt. Weniger bekannt sind die überwältigenden Ereignisse z.B. vor bzw. bei der Geburt, bei der Entwicklung der Kinder, bei Anästhesie und Operationen, bei kumuliertem Stress, Burn-out usw.
Haben Menschen überwältigende Situationen erfahren, haben sie ein Trauma (Fachsprache) erlitten. Der folgende Text beleuchtet Trauma und den Weg zur neuen Lebendigkeit, Spannkraft und Gelassenheit.
»Das Trauma steckt nicht in einem bestimmten Ereignis, sondern im Nervensystem der betroffenen Person. Es ist somit eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine als lebensbedrohlich erfahrene Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.«
Dr. Peter A. Levine PhD
Dramatische Ereignisse wie Verkehrsunfälle, Missbrauch, Gewalt und Bedrohung, aber auch Stürze, Operationen oder der Verlust eines nahen Menschen führen in unserem vegetativen Nervensystem zu unterschiedlichen Reaktionen: Bei Bedrohung kämpfen oder flüchten wir, und wenn das versagt, er-starren wir durch einen biologisch ausgelösten Totstellreflex.
Wird der Kampf erfolgreich überstanden oder ist die Flucht gelungen, baut sich die mobilisierte Energie im Körper wieder ab und es kommt zu keinen späteren Beeinträchtigungen in Bezug auf das erlebte Ereignis.
Wenn der Organismus jedoch in die Erstarrung fällt, und dort über lange Zeit stecken bleibt, kann sich die geballte Energiemenge im Körper nicht mehr von selbst auflösen. Es entsteht ein Trauma. Das Trauma ist Folge einer Blockade im vegetativen Nervensystem. Diese Blockade bewirkt die verschiedensten Beschwerden wie Kraftlosigkeit, rasches Ermüden, Ohnmachtsgefühl, Angst, Albträume aber auch chronische Muskelverspannungen, Schmerz, Schwindel, veränderte Körperwahrnehmung (z.B. ein Körperteil fühlt sich leblos an), Konzentrations- oder Sehstörungen.
Bei der Aufarbeitung eines Traumas muss aus der Sicht von Somatic Experiencing (SE) ® die körperliche Reaktion berücksichtigt werden. Gelingt es dem Menschen, die erstarrten unvollständigen Abwehrreaktionen abzuschliessen, die blockierten biologischen Rhythmen und Prozesse schrittweise und langsam wieder in Fluss zu bringen, so kann die Person zum Gefühl von Normalität, Spannkraft und Wohlbefinden zurückfinden.
Dr. Peter A. Levine PhD beobachtete, dass Tiere in freier Wildbahn oft in Momenten höchster Gefahr - zum Beispiel Gazellen, kurz bevor sie von einer Raubkatze getötet werden - in einen Totstellreflex fallen. Dabei bricht die Gazelle auf der Flucht wie ohnmächtig zusammen. Dies ist die Folge der be-reits erwähnten Energieblockade im vegetativen Nervensystem. Es ist einerseits ein Schutz des Tieres vor Überlastung des Nervensystems - Todesangst und Schmerz werden nicht mehr wahrgenommen - anderseits kommt es vor, dass die Gazelle dadurch den Angriff überlebt, weil Raubkatzen tote Tiere in der Regel nicht fressen. In diesem Fall erwacht die Gazelle nach ein paar Minuten, steht auf und be-ginnt am ganzen Körper zu zittern. Danach kommt das Tier wieder zur Ruhe und rennt davon, unbe-lastet durch das Ereignis. Wenn das Tier jedoch beim Zittern gestört wird und ein Teil der Energieblo-ckade bestehen bleibt, erleidet auch das Tier ein Trauma. Folgen dieses Traumas sind zum Beispiel dauernde Angst, Anspannung, Unruhe und Verlust der sozialen Bindung zu den anderen Herdenmit-gliedern.
Wenn beim Menschen diese Entladung nicht vollständig abläuft, entstehen Beschwerden wie beim Tier, das während des Zitterns gestört wird. Nach einem Geschehen, wie z.B. einem Verkehrsunfall, gewähren wir dem Organismus oft nicht genügend Schutz, Ruhe und Zeit um sich zu entladen. In die-sem Fall braucht es gewisse Hilfestellungen und Methoden um der Person zu helfen, sich aus dem traumatischen Zustand herauszubewegen. Peter A. Levine hat wesentliche Prinzipien erforscht, wie ein Trauma verarbeitet und aufgelöst werden kann und diese Erkenntnisse in Somatic Experiencing (SE) ® umgesetzt.
Die Ressourcen der betroffenen Personen bilden eine wichtige Grundlage zur Lösung von Trauma. Es geht darum, aus der Position der Stärke und Kraft heraus etwas Schwierigem oder Unbekanntem zu begegnen.
Auf dieser Basis wird das traumatische Ereignis körperlich und geistig "neu verhandelt". Dabei ist nicht nur das Ereignis selbst entscheidend, sondern die Art und Weise, wie die physiologischen Regulations-kräfte des Nervensystems mit der Bedrohung fertig werden.
Somatic Experiencing Praktizierende (SEP) helfen Menschen, über den Kontakt mit dem vegetativen Nervensystem Blockaden behutsam aufzulösen. Die "eingefrorene" Energie wird in kleinen Dosen "aufgetaut" und kommt schrittweise zur Entladung.
Wenn es emotional zu belastend erscheint oder die bewusste Erinnerung fehlt, kann ein Trauma auch bearbeitet werden, ohne über das Ereignis zu sprechen.
Durch das Aufspüren und Wiederbeleben der biologischen, körperlichen Abwehrkräfte entsteht aus dem Trauma bedingten Gefühl von Lähmung und Erstarrung ein Gefühl von Lebendigkeit, Lebensfreude und eine Öffnung von neuen Möglichkeiten im Leben.
Somatic Experiencing (SE) ® lässt sich sehr gut mit verschiedenen Therapie-Methoden kombinieren. Da jeder Mensch und jedes Problem einzigartig sind, bleibt viel Raum für die kreative Lösungsfindung.
Dr. Peter A. Levine erhielt seine Doktortitel in medizinischer und biologischer Physik an der University of California in Berkeley und arbeitete während der Entwicklung des Space-Shuttles als Stressberater bei der NASA. In den 70er Jahren hatte er wilde Tiere in lebensbedrohlichen Situationen beobachtet. Damit begann ein intensives Studium zum Thema Schock und Trauma. Seine Aufmerksamkeit galt insbesondere dem Totstellreflex. Diese Erkenntnisse aus der Tierwelt hat er auf den Menschen über-tragen und entwickelte in den letzten Jahrzehnten " Somatic Experiencing (SE) ®".
Levine gründete die «Foundation of Human Enrichment FHE», eine Organisation in den USA, die sich um Forschung und Lehre von SE bemüht.